24.12.1915

Weihnachten in Gefangenschaft

 
 

“Jedem standen die heißen Tränen in den Augen, rannen uns über die Wangen, dachte doch jeder in dieser Stunde mehr als je an seine Lieben in der Heimat.“

 
 

Karl Kasser ist in einem sibirischen Lager in der Nähe von Krasnojarsk angelangt. Nun ist er einer von mehr als zwei Millionen Soldaten, die im Laufe des Krieges in russische Gefangenschaft geraten. Doch Kriegsgefangenenlager entstehen überall auf der Welt, nicht nur in Europa, sondern auch in Japan und Afrika, im Mittleren und Nahen Osten. Während des gesamten Krieges gerät mindestens jeder achte Soldat in Gefangenschaft. Einstweilen funktioniert immerhin der Kontakt mit der Heimat. Zu Weihnachten gibt es Post und sogenannte "Liebesgaben", außerdem kommt eine österreichische Rotkreuzschwester zu Besuch.

Die Geld hatten, zahlten zusammen, dass wir doch auch eine Freude hatten fern der Heimat und der Lieben. Kauften einen Christbaum. Mein Kollege und ich konnten auch nichts beisteuern. Wir konnten uns nicht einmal eine Karte kaufen, um den Angehörigen zu schreiben. Denn das Geld von der Schwester hatten wir noch nicht. Nur die, die im Sommer arbeiten konnten, hatten ein wenig Geld. Der Christbaum wurde aufgestellt. Etliche Kerzlein drauf und wurden angezündet. (…) Zum Schlusse sangen wir mitsammen ein Weihnachtslied. Es waren 300 Mann beisammen in der Baracke und standen um den Christbaum herum. Jedem standen die heißen Tränen in den Augen, rannen uns über die Wangen, dachte doch jeder in dieser Stunde mehr als je an seine Lieben in der Heimat.
Ein Gefühl der gänzlichen Verlassenheit beschlich jeden und die ausgestandenen Leiden und Drangsalierungen und die in Dunkel gehüllte Zukunft, stand vor unserem geistigen Auge. (…) Nun hofften wir, diese Weihnachten werden auch die letzten sein, denn wir werden wirklich bald erlöst werden. Auch die Schwester versprach uns baldige Heimkehr, und dass die Friedensverhandlungen bereits begonnen haben.