Ort

Ypern

 
 

Ypern ist heute ein hübsches Städtchen in Flandern, auferstanden aus Ruinen. Zur Ruine war die Stadt im Ersten Weltkrieg geworden, als Dreh- und Angelpunkt des schier endlosen Gemetzels zwischen 1914 und 1918.

Ypern ist für den Soldaten des Ersten Weltkrieges aber auch darüber hinaus ein Horrorwort, denn hier beginnt am 22. April 1915 um 17.30 Uhr eine neue Form des Kriegs: der Gaskrieg. Dieser wirkt so schrecklich, dass bis heute ein absolutes Verbot besteht, im Krieg Giftgas einzusetzen. Wo dies doch geschieht, sieht sich die internationale Gemeinschaft zu schärfsten Repressalien berechtigt, ja verpflichtet.

Die Ruine der Kathedrale von Ypern
Die Ruine der Kathedrale von Ypern in Flandern
© LOOKSfilm

Schon vor Ypern ist Gas im Krieg eingesetzt worden. Die Haager Konvention von 1907 verbietet aber ausdrücklich nur den Gebrauch von tödlichem Gas, und schon ab August 1914 wird Reizgas aller Art im Festungs- und Häuserkampf auf allen Seiten verwendet. Neu ist 1915 das Versprühen von giftigen Chlorgasen, die tödlich wirken können, auf jeden Fall aber grässliche Verletzungen der Atemwege und der Augen verursachen. Ob der deutsche Generalstabschef Erich von Falkenhayn das bei seinem Befehl einkalkuliert hat? Wahrscheinlich hat er sich des Gases bedient, welches gerade am greifbarsten war, nämlich ein Abfallprodukt des Chemiekonzerns BASF. Die womöglich tödliche Wirkung ist dem Generalstab bekannt, aber die deutschen Generäle sind damals der Überzeugung, dass ein möglichst brutal geführter Krieg kürzer sein würde, weniger Menschenleben koste und deshalb im Grunde human sei.

Die Pandorabüchse des modernen Krieges


Der Gaseinsatz vor Ypern öffnet die Pandorabüchse des modernen Krieges. Von da an, so scheint es, ist im Ersten Weltkrieg alles erlaubt. Die Franzosen und Briten brauchen nur Wochen, um das deutsche Gas noch zu übertrumpfen. Während des gesamten Krieges schaukeln sich die Erfindungen in diesem Bereich gegenseitig hoch. Schließlich wird der Krieg überwiegend mit der Gasmaske geführt, auch für Meldehunde und Pferde.

Deutsche Soldaten bei einem Gasangriff
Deutsche Soldaten bei einem Gasangriff in der Nähe von St. Quentin, 1918
© LOOKS/drakegoodman

Der Gaseinsatz wird in der Zwischenkriegszeit als selbstverständlich erachtet, sodass überall in Europa entsprechende Schutzmaßnahmen eingeübt werden. Die Bevölkerung stellt sich einen künftigen Krieg als einen Gaskrieg vor, der menschenleere Städte hinterlässt. Das ist eine Erbschaft des Krieges – genauso wie das Aufkommen technischer Begriffe, die das Grässliche banalisieren. In Frontberichten war in etwa vom "Gasieren" der feindlichen Schützengräben die Rede – ein Vorbote des nationalsozialistischen Jargons, der ermordete Juden in den Vernichtungslagern als "gasierte Einheiten" bezeichnet.