Ort

Gallipoli

 
 

Nachdem der Erste Weltkrieg Ende 1914 an der Westfront im Schützengrabenkrieg erstarrt ist, gibt es auf beiden Seiten Überlegungen, ihn wieder in Bewegung zu bringen. Die deutsche Armeeführung versucht es im April 1915 mit der neuen Waffe des Gaskrieges, die Alliierten beginnen mit einer Ausweitung des Krieges in der Mittelmeerregion gegen die Türkei, den Verbündeten Deutschlands.

Am 25. April 1915 erfolgt eine Landungsoperation der britischen Streitkräfte auf der türkischen Halbinsel Gallipoli, die an die Dardanellen anschließt. Die Meerenge in den Besitz der Alliierten zu bringen und damit sowohl die Türkei zu schwächen als auch einen entscheidenden Schlag gegen die deutschen Nachschublinien zu führen, ist ein äußerst wichtiges strategisches Ziel der alliierten Militärführung.

Alliierte Truppen in Landungsbooten an den Dardanellen, 1915
Alliierte Truppen erreichen die Dardanellen, April 1915.
© LOOKSfilm

Für den Angriff auf Gallipoli werden außer englischen und französischen Truppenteilen auch zum ersten Mal Verbände aus Australien und Neuseeland eingesetzt. Diese neuen Truppen heißen bis heute ANZAC-Corps ("Australian and New Zealand Army Corps"). Es sind meist unerfahrene Soldaten, die in unwegsamem Gelände abgesetzt werden. Das führt dazu, dass sie die zunächst nur circa 250 türkischen Verteidiger in deren gut ausgebauten Maschinengewehr-stellungen nicht überwinden können. Im Gegenteil: Die ANZACs müssen alle Kraft aufbieten, um nicht von den Türken regelrecht ins Meer zurückgestoßen zu werden. Sie bauen daher am Strandgebiet von Gallipoli selber Stellungen aus, so dass ein massiver türkischer Angriff Mitte Mai abgewehrt werden kann. Dabei verlieren die Türken mehr als 10.000 Soldaten.

Alliierte Stellungen am Strand von Gallipoli.
Die alliierten Stellungen am Weststrand, Gallipoli: Hier toben erbitterte Kämpfe zwischen alliierten und türkischen Truppen.
© LOOKSfilm

Unter schrecklichen Bedingungen verbringen die ANZACs den heißen Sommer in ihren Stellungen. Ein weiterer Angriff gegen die türkischen Linien am 6. August 1915 scheitert wieder mit hohem Blutverlust. Innerhalb eines Dreivierteljahres erleiden die kontinuierlich verstärkten alliierten Truppen vor Gallipoli Verluste von 180.000 Mann, davon circa 50.000 Gefallene. Die Türken, die hier heroisch ihre Heimat verteidigen (was keiner der alliierten Feldherren vorausgesehen hatte), verlieren bei den Kämpfen ungefähr 350.000 Mann. Mit wenigen Maschinengewehren in guten Stellungen und mit ungeheurem Mut haben sie den technisch überlegenen britischen Einheiten standgehalten.

Eine türkische Artilleriebatterie auf Gallipoli
Eine türkische Artilleriebatterie auf Gallipoli
© LOOKS/Library of Congress

Ein Offizier sticht dabei hervor: Mustafa Kemal Pascha, der als Divisionskommandeur diesen Kampf ohne Rücksprache mit seinen Oberen durchficht und zum berühmtesten türkischen Militär wird. Das bildet die Grundlage seiner Popularität und schließlich seiner Wahl zum Präsidenten der türkischen Republik im Jahr 1923. Bis zu seinem Tod 1938 wird er in dieser Funktion immer wieder durch die Wähler bestätigt. Der Sieger von Gallipoli wurde zum Schöpfer der modernen Türkei.

Gallipoli als Erinnerungsort


Für die Türken ist Gallipoli ein Ort des nationalen Stolzes, ein Gründungsmythos der heutigen Türkei. Hier haben sie sich gewissermaßen in den Boden gekrallt, um die Heimat gegen die imperialistischen Abenteurer des britischen Weltreichs zu verteidigen.

Nach Abbruch des Gallipoli-Unternehmens werden 1916 die verbliebenen ANZACs an die Somme verbracht, wo sie erneut mit riesigen Blutverlusten kämpfen. Von da an verstehen sich Australier und Neuseeländer immer stärker als eigenständige Nationen und beanspruchen, selbstständige und souveräne Staaten zu sein, die im Commonwealth nur noch lose verbunden sind. Noch heute feiern Australier und Neuseeländer am 25. April den "ANZAC Day". Es ist der wichtigste nationale Feiertag, eine Mischung aus Volkstrauertag und Tag der nationalen Freude. So ist Gallipoli ein übernationaler Erinnerungsort geworden - allerdings keineswegs ein Ort, an dem die Sieger und Besiegten von damals gemeinsam trauern und gedenken können.