Frage

Wie hat sich die Weltordnung nach 1918 verändert?

 
 

Der Erste Weltkrieg ist die Katastrophe des alten Europa. Vor 1914 beherrschen die europäischen Großmächte die Welt. Nach 1919 erleben sie alle einen mehr oder weniger schnellen Niedergang. Große Reiche sind nun vom Erdboden verschwunden, mitsamt den Monarchen.

Nach 1918 gibt es kein Zarenreich mehr, kein Ottomanisches Imperium, kein Habsburgerreich. Das Deutsche Reich hat mehr als ein Zehntel seines Territoriums verloren und alle Kolonien eingebüßt. Wenn vor dem Krieg Europa der "Bankier der Welt" gewesen ist, so sind nunmehr die USA die Macht, die dem leidenden Europa Kredite vermittelt, um es am Leben zu erhalten.

Brooklyn-Bridge in New York
Brooklyn Bridge, Symbol der Neuen Welt: Nach dem Ersten Weltkrieg werden die USA zur wirtschaftlich stärksten Macht der Welt.
© LOOKS/Library of Congress

An die Stelle der Großreiche sind Nationalstaaten getreten, wie es vor allem der amerikanische Präsident Woodrow Wilson während des Krieges gefordert hat. Er und viele andere sind der Auffassung, dass die permanenten Spannungen zwischen den verschiedenen Ethnien in den sogenannten Vielvölkerreichen durch politische und geografische Begradigungen vermieden werden können. Ethnisch reine Nationalstaaten sollen ein neues Gleichgewicht schaffen. Das ist die Botschaft Wilsons, und danach streben die Friedensverträge, die neben Versailles auch in den anderen Pariser Vororten Saint-Germain (mit Österreich), Neuilly (mit Bulgarien), Sèvres (mit der Türkei) und im Trianon-Palast nahe Versailles (mit Ungarn) abgeschlossen werden.

Ein deutsches Plakat fordert Freiwillige auf, sich gegen den Verlust der deutschen Ostgebiete zu wehren
Im Zuge des Versailler Vertrags verliert Deutschland Teile seiner Ostprovinzen an Polen. Ein deutsches Plakat fordert Freiwillige auf, sich gegen den Verlust dieser Gebiete zu wehren.
© LOOKS/Library of Congress

In Mittel- und Osteuropa entstehen neue Staaten wie Jugoslawien, die Tschechoslowakei und Polen. Letzteres wird aus Bestandteilen des Zarenreiches, des Deutschen Reiches und der Donaumonarchie gebildet. In der Folge müssen Hunderttausende Deutsche unter teils unwürdigen Umständen aus diesen Gebieten emigrieren, begleitet vom Hass der neuen Herren, die lange unter deutscher Vorherrschaft gelebt und gelitten haben. Menschenströme bewegen sich auch zwischen den Balkanstaaten, etwa zwischen Bulgarien, der Türkei und Griechenland. Die ethnische Bereinigung, als eine Befriedung geplant, erweist sich als Quelle permanenten Hasses, neuer Verfolgung und weiterer Morde.

Blutiger Bürgerkrieg in Russland


Der Krieg nach dem Krieg wütet vor allem in Russland zwischen den "Weißen" und den "Roten", also zwischen zaristischen oder demokratischen Russen einerseits und den Sowjets andererseits, die seit 1917 das Land regieren und die Revolution konsequent durch Enteignungen durchführen. Hier ergibt sich ein wilder Hass, der zu einem entsetzlichen Bürgerkrieg führt, in welchen die ausländischen Mächte ebenfalls eingreifen. Frankreich schickt 150.000 Soldaten in diese Gebiete, um das gefürchtete Vordringen des Bolschewismus zu verhindern. Zwischen Russland und Finnland tobt ein langwieriger Krieg, weil der finnische Anspruch, endlich eine eigenständige Nation zu werden, von den Sowjets nicht anerkannt und mit Krieg beantwortet wird. Insgesamt ist die Welt in den Jahren nach 1919 weit davon entfernt, einen echten Frieden schließen zu können. Wilsons Utopie von einer demokratischen Weltordnung ohne Krieg harrt auch hundert Jahre nach dem Krieg immer noch ihrer Realisierung.