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Ende Oktober 1918 weigern sich Matrosen in Kiel und Wilhelmshaven, zu einer letzten Schlacht gegen die britische "Grand Fleet" auszulaufen. Innerhalb weniger Tage weitet sich diese Meuterei zu einer revolutionären Bewegung in ganz Deutschland aus, die schließlich in den Untergang der Monarchie und die Gründung einer demokratischen Republik mündet.

Die Verhandlungen über einen Waffenstillstand sind bereits im Gange, als im Oktober 1918 die deutsche Seekriegsleitung unter Admiral Scheer einen letzten Vorstoß der Hochseeflotte in der Nordsee anordnet. Ein solcher Endkampf der Flotte hat militärisch keinen Sinn, aber die verantwortlichen Admiräle wollen ihre Schiffe lieber "ehrenvoll" untergehen lassen, als sie entsprechend den zu erwartenden Waffenstillstandsbedingungen den Alliierten übergeben zu müssen.

Rebellion der Admiräle


Da weder die Oberste Heeresleitung noch der Kaiser als Oberster Kriegsherr über das Vorhaben informiert sind, ist die geplante Aktion eine Rebellion der Marineführung, für die die Verantwortlichen gemäß Kriegsrecht eigentlich hätten belangt werden müssen. Die Meuterei der Admiräle ist jedoch in Vergessenheit geraten, weil ihr eine viel bedeutendere folgt, nämlich der Aufstand der Matrosen. Dieser beginnt am 29. Oktober, als sich die Seemänner der vor Wilhelmshaven ankernden Hochseeflotte weigern, für die befohlene Seeschlacht auszulaufen.

Demonstrierende Matrosen in Kiel
Demonstrierende Matrosen in Kiel, 1918
© dpa - Bildarchiv

Die Marineführung rückt schnell von ihrem Vorhaben ab, befiehlt aber die Verhaftung von mehr als 1000 Aufständischen und die Verlegung von Teilen der Flotte in die Elbemündung und nach Kiel. Diese Entscheidung, die eigentlich der Meuterei ein Ende bereiten soll, trägt stattdessen dazu bei, die Ausbreitung des Matrosenaufstands zu begünstigen. Denn in Kiel versuchen die stationierten Mannschaften, eine Befreiung der inhaftierten Matrosen durch Dienstverweigerung und Demonstrationen zu erzwingen. Bei einer Kundgebung am 3. November kommt es schließlich zum tödlichen Schusswechsel. Die Protestbewegung radikalisiert sich, bald gesellen sich auch streikende Werft- und Transportarbeiter zu den Matrosen, die am 4. November einen gemeinsamen Arbeiter- und Soldatenrat bilden. Die Meutereien entwickeln sich in kürzester Frist zu einer revolutionären Bewegung, die den Umsturz der bestehenden Ordnung zum Ziel hat.

Eine Gruppe bewaffneter Arbeiter und Soldaten
Eine Gruppe bewaffneter Arbeiter und Soldaten, Kiel, November 1918
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Um die "Massen im Zaum zu halten" (Friedrich Ebert) und die Bewegung in geordnete Bahnen zu lenken, entsendet die Reichsregierung den Abgeordneten Gustav Noske (SPD) und den Staatssekretär Conrad Haußmann (Liberale) nach Kiel. Doch es ist zu spät: Die Massen lassen sich nicht mehr bändigen. Im Gegenteil: Die Revolution breitet sich ab dem 6. November wie ein Steppenbrand von den norddeutschen Küstenstädten nahezu über das ganze Reich aus. Auch im Ruhrgebiet, im Rheinland sowie im Rhein-Main-Gebiet etablieren sich Arbeiter- und Soldatenräte. Die Räte selber sorgen nun "für Ruhe und Ordnung", nachdem sie die örtlichen Regierenden und Militärbefehlshaber regelrecht nach Hause geschickt haben. Gegenwehr gibt es nicht, so morsch ist das politische System des Kaiserreiches angesichts der drohenden Niederlage. Der Umschwung gelingt umso leichter, als nur ein kleiner Teil der Arbeiterräte auf Seiten der Linksradikalen steht, die den Aufstand zur Errichtung eines kommunistischen Staates nutzen wollen. Der weitaus größere Teil der Räte arbeitet mit den örtlichen Vertretern der Mehrheits-Sozialdemokratie zusammen.

Eine Versammlung Kieler Matrosen
Kieler Matrosen versammeln sich, um sich eine Rede Gustav Noskes anzuhören, 5. November 1918.
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In den folgenden Tagen kristallisieren sich soziale und politische Forderungen heraus, die auf eine umfassende Neugestaltung der Verhältnisse in Deutschland abzielen. Das wichtigste Resultat dieser Bewegung ist die Abdankung des Kaisers. Dieser ist in Wirklichkeit abgedankt worden, denn der SPD-Politiker Philipp Scheidemann ruft bereits am 9. November vom Balkon des Reichstags die Republik aus, obwohl Wilhelm II. überhaupt noch keinen Thronverzicht unterzeichnet hat. Die gemäßigten Linken um Ebert, Scheidemann und Noske wissen aber genau, dass sie die Massen nur noch durch die Errichtung einer demokratischen Republik davon abhalten können, sich auf die weiter links stehenden Kräfte um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg einzulassen.

Demonstrierende Soldaten und Arbeiter
Die Revolution erreicht die Hauptstadt: Soldaten schließen sich streikenden Arbeitern an, Berlin, 9. November 1918.
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Während die Deutschen über diesen Unruhen fast vergessen, dass sie im Krieg sind, wissen ihre Gegner das ganz genau. Seit Ausbruch der Kieler Revolte sind sie sicher, dass die Deutsche Republik den Krieg auf keinen Fall weiterführen kann. Die Konsequenz daraus sind Waffenstillstandsbedingungen, die einer bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches gleichkommen. In der kommunistischen Geschichtsschreibung wird der Aufstand später als entscheidende Aktion des "klassenbewussten Proletariats" zur Beendigung des "imperialistischen Krieges" gefeiert. Heute erscheint der Kieler Matrosenaufstand eher als eine vielfältige und spontane Massenbewegung, die Erfolg hat, weil in Deutschland wirklich niemand mehr an einen möglichen Sieg glaubt.